Warum Trinkgeld in den USA kein Extra ist – sondern der eigentliche Lohn

Viele meiner Gäste sind überrascht, wenn ich ihnen erkläre, wie das Lohnsystem in amerikanischen Restaurants funktioniert.

Gerade europäische Besucher gehen davon aus, dass Kellner ein fixes Gehalt bekommen – wie bei uns in Österreich oder Deutschland. Doch in den USA läuft das ganz anders. Als Reiseleiter sehe ich jeden Tag, wie hart Menschen in der Gastronomie arbeiten – und wie sehr sie auf das Trinkgeld angewiesen sind.

2,13 Dollar Stundenlohn – kein Druckfehler

In vielen US-Bundesstaaten liegt der gesetzliche Mindestlohn für sogenannte “tipped employees”, also Angestellte, die Trinkgeld erhalten, bei nur 2,13 Dollar pro Stunde. Das System geht davon aus, dass Gäste durch ihr Trinkgeld den tatsächlichen Lohn aufstocken. Doch selbst dieser minimale Stundenlohn bleibt oft nicht übrig – denn die Steuern auf das Trinkgeld werden vom Grundlohn abgezogen.

Das führt dazu, dass viele Kellnerinnen und Kellner am Ende des Monats eine Lohnabrechnung mit 0 oder sogar negativem Betrag bekommen. Das Trinkgeld der Gäste ist also nicht nur ein Bonus – es ist das Einkommen.

Kein Trinkgeld = kein Lohn

In Europa ist Trinkgeld eine freundliche Geste. In den USA ist es die Existenzgrundlage. Wer in einem amerikanischen Restaurant ohne Trinkgeld geht, entzieht dem Kellner oder der Kellnerin faktisch den Lohn für die Arbeit. Und das oft nach vielen Stunden im Stehen, unter Zeitdruck, mit einem freundlichen Lächeln – selbst bei schwierigen Gästen.

Warum es in US-Restaurants oft eine Hostess gibt

Ein interessanter Unterschied, den viele meiner Gäste zum ersten Mal erleben: In US-Restaurants empfängt oft eine Hostess die Gäste am Eingang und führt sie zu ihrem Tisch. Diese Rolle ist nicht nur höflich gemeint – sie hat eine wichtige Aufgabe:

Die Hostess verteilt die Tische gleichmäßig auf die Kellnerinnen und Kellner. Da diese nur durch bediente Tische Geld verdienen, ist es entscheidend, dass die Verteilung fair ist. Ohne Hostess könnte es sein, dass ein Kellner vier Tische bekommt – und ein anderer gar keinen. Das würde direkt zu einem Null-Einkommen führen.

“Tip-Out“ – Trinkgeld wird weiterverteilt

Viele wissen auch nicht, dass Kellner ihr verdientes Trinkgeld nicht komplett behalten dürfen. Am Ende der Schicht müssen sie einen Teil abgeben, das sogenannte „Tip-Out“. Wer bekommt diesen Anteil?

  • Die Hostess, die die Gäste platziert hat

  • Der Barkeeper, wenn Getränke über die Bar liefen

  • Der Busser, der Tische abräumt und neu eindeckt

Ein typischer Kellner gibt 20–40 % seines Trinkgelds an andere Teammitglieder weiter. Dazu kommen dann noch Steuern – und so bleibt oft nur ein kleiner Teil übrig.

Ein Rechenbeispiel aus dem Alltag

Stell dir vor, eine Kellnerin verdient während ihrer Schicht 100 Dollar Trinkgeld. Davon gehen:

  • 15 Dollar an Barkeeper, Busser und Hostess

  • ca. 10–15 Dollar an Steuern

  • vielleicht ein paar Dollar an andere Nebenkosten

Am Ende bleiben ihr oft nur 60–70 Dollar für 6–8 Stunden Arbeit – und das auch nur, wenn die Gäste überhaupt Trinkgeld geben.

Wie viel ist angemessen?

Die Faustregel in den USA lautet:

  • 15–20 % des Rechnungsbetrags (vor Steuern) ist Standard

  • 20–25 % bei gutem oder sehr gutem Service

  • 1–3 Dollar bei Selbstbedienung oder Buffets

Übrigens: Viele Restaurants zeigen beim Bezahlen bereits Trinkgeld-Vorschläge an – das ist keine Abzocke, sondern eine Orientierungshilfe.

Reisen heißt auch: Respekt für die Kultur

Ich sage es oft auf meinen Touren: Wer reist, lernt nicht nur neue Orte kennen, sondern auch andere Lebensrealitäten. In den USA heißt das: Das Trinkgeld ist kein Extra, sondern ein respektvoller Beitrag zum Einkommen der Menschen, die euch bedienen, euch willkommen heißen und euren Aufenthalt angenehmer machen.

Wenn euch also jemand mit einem Lächeln bedient, schnell reagiert und freundlich ist – denkt daran, was wirklich hinter diesem Service steckt: 2,13 Dollar pro Stunde, minus Steuern – und jede Menge Einsatz.

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