Burkle Estate: Ein stiller Zeuge der Freiheit – erzählt von Ruth Elaine Lee

Manchmal begegnet man auf Reisen Menschen, die einem eine Geschichte nicht einfach erzählen – sie leben sie. So war es in Memphis, als Ruth Elaine Lee auf unseren Bus stieg und uns mit ihrer warmen, kraftvollen Stimme in eine Welt entführte, in der Mut und Hoffnung größer waren als Angst und Unterdrückung.

Mitten in Memphis, versteckt in einer ruhigen Straße, steht ein schlichtes weißes Haus: Das Burkle Estate. Von außen unscheinbar, birgt es im Inneren eine der eindrucksvollsten Geschichten Amerikas. Hier, während der dunklen Jahre der Sklaverei, bot der Viehzüchter Jacob Burkle geflohenen Sklaven Schutz – auf ihrem gefährlichen Weg Richtung Freiheit über die Underground Railroad.

Doch Burkle musste extrem vorsichtig agieren. Hätte jemand entdeckt, dass er Sklaven versteckte, hätte es sein Leben gekostet. Um keinen Verdacht zu erregen, trat er nach außen als ganz normaler Bürger auf.

Er ging sogar auf die Sklavenmärkte von Memphis und kaufte dort öffentlich Sklaven – nicht, um sie zu behalten, sondern um sie zu retten.

Er brachte sie in sein Haus, versteckte sie für eine Weile und ließ sie weiterreisen, sobald der Weg über den Ohio River – die symbolische Grenze in den freien Norden – sicher war.

Wenn man ihn später fragte, was aus seinen Sklaven geworden sei, zuckte er nur mit den Schultern und sagte: „Sie sind geflohen.“

Auf diese Weise konnte er seine wahre Rolle als Helfer der Underground Railroad geheim halten – und viele Menschenleben retten.

Ruth Elaine Lee ließ dieses Haus und Burkles Geschichte in unserer Vorstellung lebendig werden. Ihre Schilderungen waren keine trockenen Berichte – sie berührten das Herz und ließen uns spüren, wie viel Mut es damals brauchte, das Richtige zu tun.

Die meist verhaftete Familie in Memphis

Doch Ruth sprach nicht nur über das Burkle Estate. Sie öffnete ihr Herz und erzählte von ihrer eigenen Vergangenheit: Ihre Familie war während der Bürgerrechtsbewegung bekannt als die “meistverhaftete Familie Memphiss”.

Zusammen mit ihren Schwestern nahm Ruth an zahllosen Sit-ins teil – friedlichen Protestaktionen in Restaurants, Cafés und öffentlichen Einrichtungen, wo sie sich weigerten, der gesetzlich vorgeschriebenen Rassentrennung Folge zu leisten.

Immer wieder wurden sie verhaftet. Immer wieder kehrten sie zurück.

Ruth erinnerte sich, wie ihre Mutter sie ermutigte: „Ihr tut das nicht nur für euch. Ihr tut es für alle, die nach euch kommen.“

An vorderster Front für die Freiheit

Ruth Elaine Lee stand nicht nur in Memphis an vorderster Front.

Sie marschierte persönlich beim berühmten Selma-to-Montgomery-Marsch – jenem historischen Protestzug, bei dem tausende Menschen über die Edmund Pettus Bridge zogen, um das Wahlrecht für Afroamerikaner zu erkämpfen.

Sie war Teil des Meredith March Against Fear – eines der wichtigsten Ereignisse der Bürgerrechtsbewegung, das Mut und Durchhaltevermögen forderte.

Und sie traf persönlich auf Dr. Martin Luther King Jr., dessen Worte und Handlungen Ruth tief prägten. Ihre Augen leuchteten, als sie erzählte, wie es war, in der Nähe eines Mannes zu stehen, der Hoffnung in eine ganze Nation pflanzte.

Ihre Erzählung war so echt, so bewegend, dass die Geschichte nicht wie etwas Vergangenes klang – sondern wie etwas, das noch heute in jedem Herzschlag weiterlebt.

Ein Haus, das heute noch flüstert

Heute beherbergt das Burkle Estate das Slave Haven Underground Railroad Museum.

Hier können Besucher durch die versteckten Gänge gehen, den geheimen Keller betreten und sich vorstellen, wie Flüchtende dort stundenlang in völliger Dunkelheit und Stille ausharrten.

Dank Ruth Elaine Lees Erzählungen spürten wir:

Dieses Haus ist kein Museum. Es ist ein lebendiges Denkmal für Mut, Widerstand und Menschlichkeit.

Wer Memphis besucht und nur die bekannten Orte wie Beale Street oder Graceland ansteuert, verpasst das vielleicht Wichtigste: das leise, eindringliche Flüstern eines Ortes, an dem Freiheit keine Theorie, sondern eine lebensgefährliche Entscheidung war.

Und wenn man ganz genau hinhört, kann man vielleicht auch heute noch das Echo jener Stimmen hören, die sich – trotz aller Gefahren – für ein besseres Morgen entschieden haben.

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